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Wer Bio-Reis, Bio-Mehl und Bio-Fruchtaufstrich kaufen will, geht dafür in Deutschland nicht selten – in den Drogeriemarkt. Etwa ein Viertel des Umsatzes mit Bio-Trockenprodukten wird hierzulande zwischen Tagescreme, Küchenrollen und Badreiniger generiert (BÖLW 2024). Schon seit längerem läuft vor allem in den Regalen von dm eine kleine Revolution, mit der die Handelskette Basis-Bio-Lebensmittel stärker als bisher in den Mainstream holen will (siehe Supermarktblog).
Die Wettbewerber Rossmann und Budni folgen dem konsequent (siehe Supermarktblog).
Gleichzeitig arbeitet man in der Karlsruher dm-Zentrale daran, den Anteil ökologisch erzeugter Produkte weiter auszubauen – und entwickelt die eigene Marke so zunehmend zum Bio-Supermarkt für die Generation Z: mit wachsendem Angebot, aber ohne ideologisierte Aufladung.
Umso interessanter ist, dass dm dafür nun nach und nach auch etablierte Hersteller der Bio-Bewegung gewinnen kann. Bauck, Davert, Followfood, Ppura und Voelkel sind schon da. Seit September 2024 gesellen sich nun auch Tees von Lebensbaum und seit Anfang 2025 Müslis, Fruchtauftstriche, Pflanzendrinks und Kekse der Allos Hof-Manufaktur dazu.
Ist die Bio-Exklusivität langsam vorbei?
Beide Unternehmen, deren Produkte bislang fast ausschließlich im Bio-Fachhandel zu finden waren, kommunizieren den Schritt betont zurückhaltend – fast als wollten sie die Kund:innen den Überraschungsmoment am Drogerieregal selbst erleben lassen.


Gegenüber Branchenmedien wird die Entscheidung ähnlich begründet: Man kenne dm bereits von der Zusammenarbeit in Österreich und teile die Ausrichtung auf ökologische und soziale Verantwortung. Und, klaro: Der Bio-Fachhandel bleibe auch in Zukunft wichtigster Partner.
Die vorsichtige Kommunikation kann aber nicht darüber hinwegtäuschen: Die Zeiten der Bio-Exklusivität sind wohl so langsam vorbei. Und ausgerechnet ein Drogeriemarkt entwickelt sich verstärkt zur Anlaufstelle für traditionsreiche Bio-Herstellermarken.
Damit könnte dm zum Sprungbrett für all jene werden, die sich auf einen schwierigen Spagat einlassen müssen: die über viele Jahre etablierte Zurückhaltung gegenüber dem klassischen Handel aufgeben – aber ohne den Fachhandel dabei nachhaltig zu verärgern.
Der perfekte Zwischenschritt?
Was dm für Bio-Hersteller so attraktiv macht, ist die besondere Position, die man sich von Karlsruhe aus erarbeitet hat: Anders als klassische Supermärkte führt dm bei Lebensmitteln (mit wenigen Ausnahmen) ausschließlich Bio-Produkte. Die eigene Marke dm Bio bildet mit 660 Artikeln das preisaggressive Basissortiment. Überdies ermöglicht der Händler ausgewählten Bio-Markenherstellern, ihre Produkte einem neuen Publikum zu präsentieren, ohne dass diese gleich neben konventionellen Alternativen platziert würden.
Das dürfte den Schritt heraus aus der bisherigen Konvention für viele deutlich einfacher machen als ein direkter Gang in Supermärkte oder gar Discounter.

Bislang galten vorwiegend Supermarktketten wie Tegut und Feneberg als erste Anlaufstelle für Bio-Marken, die sich dem konventionellen Handel öffnen wollten (Rapunzel und Zwergenwiese, Sonnentor). Tegut überzeugt durch die konsequente Bio-Ausrichtung im Sortiment, Feneberg durch den Fokus auf Regionalität und Nachhaltigkeit.
Doch beide Ketten haben Probleme: Tegut steht unter dem kritischen Blick seiner Schweizer Mutter Migros – mit ungewisser Zukunft (siehe Supermarktblog). Feneberg schrieb im Geschäftsjahr 2022/23 Verluste, zog sich zuletzt aus dem Münchner Raum zurück und übergab dort Filialen an Edeka, weil die gesteckten Ziele nicht erreicht wurden.
Neue Zielgruppen im Visier
dm hingegen bietet mit über 2.000 Filialen bundesweite Präsenz und erreicht mit seinem stark wachsenden Online-Shop auch Kunden abseits der Ballungszentren. Ein Vorteil, den der regional fokussierte Bio-Fachhandel so nicht bieten kann.
dm erschließt den Herstellern zudem Zielgruppen, die sie über bisherige Vertriebswege bislang kaum oder nur eingeschränkt erreicht haben: zum einen die „Bio-Pragmatiker:innen“ – Menschen, die Bio-Qualität zwar schätzen, für die aber der traditionelle „Öko-Lifestyle“ nicht so wichtig (oder sogar hinderlich) ist. Sie kaufen gerne bei dm, weil es unkompliziert ist und sie Drogeriewaren und Bio-Lebensmittel in einem Rutsch erledigen können.
Die zweite wichtige Gruppe sind „Digital Bio Natives“: Junge, urban geprägte Konsument:innen, für die Bio selbstverständlich ist, die aber keinen Bezug zum traditionellen Bio-Fachhandel haben. Sie nutzen die dm-App für Rabatte und Angebote und finden den altmodischen Charme mancher Bio-Läden im Zweifel eher befremdlich.
Dass dm diese Zielgruppen so erfolgreich anspricht, liegt auch an der konsequenten Sortimentsstrategie: dm Bio für die preisgünstige Grundversorgung, Produkte von Markenpartnern als Besonderheiten.
Klare Strategie, klare Grenzen
Aus Sicht der Drogeriemarktkette dient das auch zur Absicherung der Umsätze von morgen: Marktforscher:innen sind sich weitgehend einig darin, dass junge Erwachsene, die zwischen 1996 und 2010 geboren wurden („Gen Z“), derzeit zwar eher überschaubare Budgets beim Einkauf haben. Bereits in fünf Jahren könnten sie aber mehr als 20 Prozent der Produkte des täglichen Bedarfs konsumieren. Vor allem aber könnte das Konsumverhalten, das sich in diesem Lebensabschnitt festigt, lange Jahre erhalten bleiben (siehe dazu „BioHandel“, Abo-Text).

Für die traditionellen Bio-Hersteller wiederum ist der Tanz aus der bisherigen Exklusivität heraus nicht ohne Risiko: Sollte dm angesichts des Zugangs zu neuen Kund:innengruppen und hohen Abnahmemengen Preisreduktionen einfordern, bestünde die Gefahr, dass Artikel günstiger verkauft werden müssten als es bislang der Fall war – das könnte geringere Margen oder Konflikte mit dem Fachhandel bedeuten.
(Allos scheint die Preise seiner Produkte bislang stabil halten zu können: Ein kurzer Vergleich einzelner Artikel, die auch bei Denn’s Biomarkt verkauft werden, zeigt, dass dm lediglich auf die bekannten Fünfer-Endungen abrundet, sonst aber dieselben Preise verlangt.)
Fachhandelstreue unter Druck
Je mehr traditionelle Bio-Hersteller diesen Weg trotzdem gehen, desto stärker dürften die verbliebenen unter Druck geraten, die in der Vergangenheit stark für die Fachhandelstreue eingetreten sind – und ihr wirtschaftliches Wohl damit einseitig an eine Vertriebsform, geknüpft haben (die zuletzt auch noch stark unter Druck stand).
Die Umsätze von Allos hatten in den vergangenen Jahren stagniert, Lebensbaum musste sogar Umsatzrückgänge hinnehmen, nachdem sich die Bio-Branche insgesamt mit einer starken Kaufzurückhaltung konfrontiert sah. Neue Absatzkanäle gewinnen also an Bedeutung. Gleichzeitig begibt der Spagat zwischen Fachhandel und konventionellem Vertrieb heikel.

Auch bei dm stößt das bisherige Modell an Grenzen: Die Regalfläche in den Filialen ist begrenzt. Den geplanten Einstieg in den Verkauf rezeptfreier Arzneimittel möchte man voraussichtlich über die deutschlandweit aufgestellten Abholstationen abwickeln (zumal sie bilsang ohnehin nicht direkt in den Läden verkauft werden dürfen; siehe Supermarktblog).
Im Lebensmittelsortiment müssen sich Marken derweil gegen die etablierte Eigenmarke behaupten.
Der nächste Schritt: Bio-Premium-Filialen?
Auch die Wettbewerber schauen genau hin: Während der Bio-Fachhandel nach Wegen sucht, seine Sortimentsvorteile stärker herauszustellen, könnten die großen Supermarktketten ihrerseits versuchen, Bio-Marken mit attraktiven Konditionen zu locken. Noch scheint dm aber einen entscheidenden Vorteil zu haben: Karlsruhe bietet Bio-Herstellern vielmals einen sanfteren Übergang in den Massenmarkt als Rewe, Edeka & Co.
Eine mögliche Antwort auf zumindest eine Einschränkung könnte – rein theoretisch – die Entwicklung spezieller Bio-Premium-Standorte sein: Filialen mit überdurchschnittlich hohem Bio-Umsatz, starker Nachfrage nach Demeter- und Naturland-zertifizierten Produkten und hoher App-Nutzung böten sich dafür an. Dort könnte dm sein Bio-Markensortiment deutlich ausweiten – und so testen, welche Produkte auch für andere Standorte interessant sind.
Ideale Standorte dafür wären Universitätsviertel, urbane Lagen mit kaufkräftiger Kundschaft und Stadtteile mit besonders nachhaltigkeitsorientierten Bewohner:innen. Der Online-Shop könnte dabei als erster Testmarkt für neue Marken dienen, bevor diese den Weg in die Bio-Premium-Filialen finden.
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Massenmarkt ohne Verwässerung?
Was als pragmatischer Zwischenschritt für Bio-Hersteller begann, könnte sich so zu einem eigenständigen Zukunftsmodell entwickeln: dm als moderner Bio-Supermarkt, der die Stärken des Fachhandels (Sortimentstiefe, Markenvielfalt) mit denen des konventionellen Handels (Convenience, digitale Services) verbindet.
Für die Bio-Branche wäre das womöglich ein Kompromiss, der sich eingehen ließe, ohne dabei Gefahr zu laufen, die bisherigen Werte zu verraten – wobei man natürlich auch bei dm nur eingeschränkt Kontrolle darüber hat, wie sich die Marke weiter entwickelt. Zuletzt schienen Preisaktionen für die Handelskette wichtiger zu sein als bisher kommunizierte Werte (siehe Supermarktblog).
Bestenfalls demonstriert dm aber, dass der Weg in den Massenmarkt nicht zwangsläufig zur Verwässerung führen muss.
Vielleicht ist es sogar genau das, was Bio heute braucht: Einen Ort, an dem Nachhaltigkeit und Convenience keine Gegensätze sind. Und an dem Bio für Alle keine Vision für die Zukunft mehr ist – sondern längst eingekaufte Realität.
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Hmm. Ich habe noch das unrühmliche Ende der Kooperation mit Alnatura im Kopf. Das einzige Mal, dass ich dm als „evil“ wahrgenommen habe – dafür sitzt das umso fester. Ist das kein Thema mehr bei neuen Kooperationen mit Bio-Herstellern? Müssen sie nicht fürchten, dm-eigene Konkurrenz zu bekommen, wenn ein Produkt zu gut läuft?
Noch eine kleine Textkorrektur für den ersten Satz im Abschnitt „Fachhandelstreue unter Druck“: Ersetze „beste“ durch „desto“.
Danke, korrigiert!
Und der Bruch mit Alnatura war ja (aus dm-Sicht) quasi Voraussetzung für die aktuelle Strategie, um Bio-Preisführer bei Eigenmarken werden zu können – was man andernfalls dem Wettbewerb hätte überlassen müssen.
die Hersteller sind in diesem Bereich meiner Erfahrung nach zu klein aufgestellt. große Filialisten bekommen die nicht in der Breite sauber versorgt.